[Rezension] Worte, die man mir nicht sagt - Véronique Poulain

Schon im Alter von zwei Jahren begreift Véronique, dass ihre Eltern anders sind - sie sind gehörlos. Anfangs ist sie darauf mächtig stolz, gibt sogar vor Fremden damit an. Doch im Laufe der Jahre wird die Sachen zunehmend nerviger.
Eindrucksvoll schildert die Autorin Véronique Poulain in ihrem autobiografischen Roman, wie es sich anfühlt, wenn Mama und Papa anders sind. Veröffentlicht wurde das 150-Seitige Taschenbuch vom ullstein extra Verlag. Worte, die man mir nicht sagt, gibt es seit anfang 2015 zu kaufen.

Wie schlimm ist es anders zu sein?
Véroniques Eltern sind taub, sie nicht. Im zarten Kindesalter scheint es sie nicht zu stören. Wenn sie reden möchte, tut sie sich bei ihren Großeltern aus. Doch als ihr Opa verstirbt, wird es zunehmend anstrengender. Ihr fällt nicht nur plötzlich auf, dass ihr Vater unheimlich schmatzt beim Essen, sondern auch, wie laut ihre Eltern Sex haben. Und das, obwohl sie doch eigentlich stumm sind. Kommunikation funktioniert nur über Gesten. Ab und ab fallen einzelne Worte, unverständliches Gemurmel ohne Sinn: zumindest für Außenstehende. Fragen wie "Und warum kannst du dann hören?", öden den Teenager an. Kann sie doch nichts dafür, wenn andere Menschen nicht wissen, was es bedeutet taub zu sein. Doch es gibt auch amüsante Seiten - wenn Véronique nach Hause kommt, begrüßt sie ihre Eltern mit den Worten "Hallo ihr Arschlöcher" und wird dafür freudestrahlend in die Arme genommen. Auch um drei Uhr morgens laute Musik zu hören, scheint niemanden zu stören. Hört ja eh niemand außer sie. Bis hin zum Erwachsenenalter beschreibt die Französin eindrucksvoll, wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Eltern anders sind und dass das oftmals gar nicht so schlimm ist, wie es vielleicht aussieht.

Mein Leseeindruck
Zu Anfang fand ich diese "Situation" noch sehr amüsant. Das mag wahrscheinlich auch daran liegen, dass die Autorin viel Humor in das Buch hineingepackt hat. Schließlich ist es nicht einfach, sich nie gegenüber seinen Eltern mittels Worten mitteilen zu können, obwohl einem das Bedürfnis auf der Seele brennt. Doch irgendwann bekommt man als Leser das Gefühl, dass Véronique einfach nur genervt ist: von ihren Eltern, von der Behinderung, von allem.
An sich lässt sich das Buch relativ zügig lesen (bei gerade einmal 150 Seiten wahrscheinlich abzusehen). Nur waren die meisten Seiten nicht einmal halb gefüllt. Dieser Aufbau hat mir auch gar nicht zugesagt. Es wird eher auf einzelne Phrasen und Abschnitte eingegangen. Mir hätte die Geschichte als großes Gesamtpaket wohl mehr zugesagt.

Für jeden, den diese Thematik wirklich interessiert, ist dieses Buch absolut lesenswert! Ich denke, dass es auch sehr viele Jugendlichen Mut macht, die auch mit der Gehörlosigkeit konfrontiert werden. Nicht zuletzt, weil man sich unheimlich verstanden fühlt, alles sehr realitätsnah beschrieben wird. Aber meiner Meinung kein Muss für jedes Bücherregal.

Von mir gibt es ★★☆☆☆ von ★★★★★ Sterne.

"Der Mensch kann mit dem Mund lügen so viel er will -
mit dem Gesicht, das er macht, sagt er stets die Wahrheit."

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